Lüftungswärmeverluste: Wenn warme Luft entweicht
Lüftungswärmeverluste entstehen, wenn warme Raumluft das Gebäude verlässt und durch kalte Außenluft ersetzt wird. Sie machen typischerweise 20-40% der Heizlast aus – bei sehr gut gedämmten Gebäuden sogar mehr.
Das Prinzip
Luft ist ein Wärmeträger. Wenn 20°C warme Raumluft durch -10°C kalte Außenluft ersetzt wird, muss die Heizung diese Temperaturdifferenz ausgleichen:
- Warme Luft raus = Wärmeenergie geht verloren
- Kalte Luft rein = Muss aufgeheizt werden
- Ergebnis: Zusätzlicher Heizwärmebedarf
Analogie: Stellen Sie sich vor, Sie haben eine Badewanne mit warmem Wasser. Wenn Sie ständig warmes Wasser ablassen und kaltes nachfüllen, müssen Sie kontinuierlich nachheizen, um die Temperatur zu halten.
Die Berechnungsformel
Die Lüftungswärmeverluste berechnen sich nach DIN EN 12831-1:
Formel: ΦV = HV × (θi - θe)
mit HV = V × n × ρ × cp = V × n × 0,34
- ΦV = Lüftungswärmeverlust (W)
- HV = Lüftungs-Wärmeverlustkoeffizient (W/K)
- V = Raumvolumen (m³)
- n = Luftwechselrate (1/h)
- ρ × cp = 0,34 Wh/(m³K) für Luft
- θi = Innentemperatur (°C)
- θe = Norm-Außentemperatur (°C)
Luftwechselrate: Der entscheidende Faktor
Die Luftwechselrate n gibt an, wie oft das Raumvolumen pro Stunde ausgetauscht wird:
| n | Bedeutung | Beispiel |
|---|---|---|
| 0,5 1/h | Halbes Volumen/Stunde | Gut abgedichtetes Gebäude |
| 1,0 1/h | Ganzes Volumen/Stunde | Durchschnittlich |
| 2,0 1/h | Doppeltes Volumen/Stunde | Undichtes Altbau |
Mindestluftwechsel nach DIN EN 12831-1
Die Norm definiert einen hygienisch notwendigen Mindestluftwechsel:
| Raumtyp | Mindest-n | Begründung |
|---|---|---|
| Wohnräume | 0,5 1/h | CO2-Abfuhr, Feuchte |
| Schlafzimmer | 0,5 1/h | Feuchte von Personen |
| Küche | 1,0-1,5 1/h | Kochdünste, Feuchtigkeit |
| Bad | 1,5-2,0 1/h | Hohe Feuchtigkeit |
| WC | 1,5 1/h | Gerüche |
Wichtig: Zu wenig Lüftung führt zu Feuchteschäden und Schimmel! Der Mindestluftwechsel ist nicht verhandelbar – er muss durch die Heizlast abgedeckt werden.
Die zwei Arten des Luftaustauschs
1. Infiltration (unkontrolliert)
Luftaustausch durch Undichtigkeiten in der Gebäudehülle:
- Fugen an Fenstern und Türen
- Durchdringungen (Rohre, Kabel)
- Undichtigkeiten an Anschlüssen
- Poröse Baumaterialien
Die Infiltration hängt stark von der Gebäudedichtheit ab, gemessen als n50-Wert (Luftwechsel bei 50 Pa Druckdifferenz):
| Gebäudetyp | n50-Wert | Infiltration bei Wind |
|---|---|---|
| Altbau unsaniert | 6-10 1/h | 0,5-1,0 1/h |
| Saniert mit neuen Fenstern | 3-5 1/h | 0,2-0,4 1/h |
| Neubau nach EnEV/GEG | 1,5-3,0 1/h | 0,1-0,2 1/h |
| Passivhaus | < 0,6 1/h | < 0,05 1/h |
2. Mechanische Lüftung (kontrolliert)
Gezielter Luftaustausch durch Lüftungsanlagen:
| System | Beschreibung | Wärmerückgewinnung |
|---|---|---|
| Abluftanlage | Nur Abluft mechanisch | Keine |
| Zu-/Abluftanlage | Beide mechanisch | Möglich (WRG) |
| Dezentrale Lüfter | Einzelraumlösungen | Oft integriert |
Wärmerückgewinnung (WRG)
Moderne Lüftungsanlagen können 60-95% der Wärme aus der Abluft zurückgewinnen:
Formel mit WRG: ΦV = V × n × 0,34 × (1 - ηWRG) × (θi - θe)
- ηWRG = Wärmerückgewinnungsgrad (z.B. 0,85 = 85%)
| WRG-Grad | Effektive Temperaturdifferenz | Heizlast-Reduktion |
|---|---|---|
| 0% (ohne WRG) | 32 K (bei -12°C außen) | Referenz |
| 75% | 8 K | -75% |
| 85% | 4,8 K | -85% |
| 95% | 1,6 K | -95% |
Beispiel: Ein Raum mit 50 m³ und n = 0,5 1/h hat ohne WRG einen Lüftungswärmeverlust von 272 W. Mit 85% WRG sinkt dieser auf nur 41 W – eine Einsparung von 231 W!
Rechenbeispiel
Ein Wohnraum mit:
- Volumen: V = 60 m³
- Luftwechsel: n = 0,5 1/h
- Innentemperatur: θi = 20°C
- Außentemperatur: θe = -12°C
Ohne Wärmerückgewinnung
Berechnung: HV = 60 m³ × 0,5 1/h × 0,34 = 10,2 W/K
ΦV = 10,2 W/K × (20 - (-12)) K = 10,2 × 32 = 326 W
Mit 85% Wärmerückgewinnung
Berechnung: ΦV = 326 W × (1 - 0,85) = 326 × 0,15 = 49 W
Einsparung: 277 W = 85%
Lüftungskonzepte im Vergleich
| Konzept | Vorteile | Nachteile | Heizlast-Einfluss |
|---|---|---|---|
| Fensterlüftung | Keine Investition, flexibel | Wärmeverlust, Nutzerabhängig | Hoch (volle Lüftungsverluste) |
| Abluftanlage | Günstig, Feuchteschutz | Keine WRG | Mittel |
| KWL mit WRG | Energieeffizient, Komfort | Hohe Investition | Gering (bis -90%) |
| Dezentrale Lüfter | Nachrüstbar, WRG möglich | Geräusche, Optik | Gering bis mittel |
Einfluss auf die Gebäudeheizlast
Bei der Gebäudeheizlast werden Lüftungswärmeverluste anders behandelt als Transmissionsverluste:
Standardverfahren (konservativ)
Summe aller Raumlüftungsverluste = Gebäudelüftungsverlust
Erweitertes Verfahren (realistischer)
Berücksichtigt:
- Gleichzeitigkeit: Nicht alle Räume werden gleichzeitig gelüftet
- Wärmeübertragung: Warme Abluft aus einem Raum wärmt andere vor
- Infiltrationsausgleich: Druck-Saug-Effekte
Hinweis: Unser Heizlast-Rechner verwendet das Standardverfahren für die sichere Auslegung. Die tatsächlichen Lüftungsverluste können im Betrieb geringer sein.
Typische Fehler vermeiden
1. Lüftungswärmeverluste unterschätzen
Bei gut gedämmten Neubauten können Lüftungsverluste über 50% der Heizlast ausmachen!
2. Nach Fenstertausch nicht nachrüsten
Neue, dichte Fenster reduzieren die Infiltration drastisch. Ohne kontrollierte Lüftung drohen:
- Feuchteschäden
- Schimmelbildung
- Schlechte Luftqualität
3. WRG-Effizienz überschätzen
Der Hersteller-Wirkungsgrad gilt nur unter Laborbedingungen. Realistische Abzüge:
- Frostschutzschaltung: -5 bis -10%
- Undichtigkeiten: -2 bis -5%
- Fehlende Wartung: -5 bis -15%
Maßnahmen zur Reduzierung
1. Gebäudedichtheit verbessern
| Maßnahme | Typische Kosten | n50-Verbesserung |
|---|---|---|
| Fenster abdichten | 50-100 €/Fenster | -0,5 bis -1,0 1/h |
| Rollladenkästen dämmen | 30-60 €/Stück | -0,2 bis -0,5 1/h |
| Durchdringungen abdichten | Variabel | -0,5 bis -1,0 1/h |
2. Lüftungsanlage mit WRG nachrüsten
| System | Typische Kosten | WRG-Grad |
|---|---|---|
| Dezentrale Lüfter (Paar) | 800-1.500 € | 70-85% |
| Zentrale KWL | 8.000-15.000 € | 80-95% |
3. Lüftungsverhalten optimieren
- Stoßlüften statt Dauerkippen
- Querlüften für schnellen Luftaustausch
- Bedarfsgerecht lüften (CO2-Sensor)
Der Heizlast-Rechner
Unser Heizlast-Rechner berücksichtigt alle Lüftungsaspekte:
- Raumweise Luftwechselraten nach Nutzung
- Verschiedene Lüftungskonzepte (natürlich, mechanisch)
- Wärmerückgewinnung mit einstellbarem Wirkungsgrad
- Infiltrationsberechnung nach Gebäudedichtheit
Jetzt berechnen: Ermitteln Sie die Lüftungswärmeverluste Ihres Gebäudes mit unserem Heizlast-Rechner.
Weiterführende Artikel
- Was ist die Heizlast? – Die Grundlagen der Heizlastberechnung
- Transmissionswärmeverluste – Wärmeverluste durch die Gebäudehülle
- Der U-Wert erklärt – Die wichtigste Bauteil-Kennzahl
- Sanierungsempfehlungen – Maßnahmen zur Heizlast-Reduktion
Quellen
- DIN EN 12831-1:2017-09 – Verfahren zur Berechnung der Norm-Heizlast
- DIN 1946-6 – Lüftung von Wohnungen
- DIN EN 13829 – Blower-Door-Messung